«Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.» Dieser Satz steht seit 1981 in der Schweizerischen Bundesverfassung.
«Krass, dass man sowas in die Verfassung schreiben muss», sagt eine Freundin. «Also, damals», fügt sie an. Krass?
1981. Seit einem knappen Jahrzehnt gilt in der Schweiz das nationale Frauenstimmrecht. Doch ein weiteres Jahrzehnt muss verstreichen, ehe auch Appenzell Innerrhoden seine Frauen wählen lässt.
1981. Mama hat eben die Schule abgeschlossen, Papa wohl den Stimmbruch hinter sich. Die beiden beginnen eine KV-Lehre. Beide schliessen mit Bestnoten ab. Dann erst lernen sie sich kenne. Es wird geheiratet, die Nachnamen sind jetzt mit Bindestrich verbunden – die Menschen bald durch Klein-Nadine.
Wer zahlt jetzt die Windeln – und wer wechselt sie?
Ausbildung haben die frischgebackenen Eltern die gleiche. Beim Lohn sieht es anders aus. Also geht Papa Geld verdienen. Damit er nicht alles verpasst, fährt er jeden Mittag für Dreiviertelstunden nach Hause. Mama fragt beim Arbeitgeber nach einer Teilzeitstelle. Es ist 1989 und er schüttelt nur verwundert den Kopf. Vollzeit daheim zu sein, sei finanziell die einzige Lösung und «auch schön» gewesen, sagt Mama heute. Sie steht längst wieder mitten im Berufsleben.
1981. Seit drei Jahren sind Mütter bei der «elterlichen Sorge» für ihr Kind gleichberechtigt mit den Vätern. Weitere sieben Jahre bestimmt das Eherecht dennoch den Mann zum Familienoberhaupt. Das ändert sich erst mit dem neuen Eherecht 1988.
Meine Eltern arrangieren sich mit ihren Positionen. Auch wenn beide gerne ein Stück von der des anderen gehabt hätten. Man bringt das Kind durch Schule, Studium und mitten hinein in die Arbeitswelt.
1981. Artikel 8, Absatz 3: «Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.»
Das Gesetz greift nicht.
Mama und Papa sind das beste Beispiel. 15 Jahre braucht die Politik, dann erkennt auch sie, dass präziser formuliert werden muss. 1996 tritt das Gleichstellungsgesetz in Kraft und verbietet jegliche Diskriminierung der Geschlechter. Damit soll unter anderem das Recht auf gleichen Lohn endlich durchsetzbar sein. Auch Zivilstand und Schwangerschaft dürfen ein Anstellungsverhältnis jetzt nicht mehr beeinflussen. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist jetzt verboten. Die Beweislasterleichterung hilft, Diskriminierung – für die selten schriftliche oder gar in Bild und Ton festgehaltene oder von Dritten beobachtete Beweise vorliegen – zu ahnden. Sie muss jetzt nur noch glaubhaft gemacht werden.
2018. Artikel 8, Absatz 3 der Bundesverfassung ist 37-jährig. Das Gleichstellungsgesetz 22, Gross-Nadine 28. Jahrzehnte sind vergangen. Lohngleichheit sollte längst Realität sein. Doch sie bleibt: Täglich gebrochenes Gesetz.
Über ihren Lohn sprechen die meisten Kollegen ungern. Wie also soll ich vergleichen?
Was ich weiss: Meine Freundinnen, die schon Kinder haben, arbeiten weniger als ihre Männer. Weil es finanziell so mehr Sinn macht. Manche können mit ihrem Lohn gerade mal die Kita zahlen – eine Null-Rechnung. «Bist du denn so viel lieber im Geschäft, als bei deinen Kindern», werden sie gefragt.
Sogar die Teilzeitstelle wird zur Extravaganz.
Laut dem Bundesamt für Statistik liegt der Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern bei 15.1 Prozent.
Dieser Unterschied ist zu 60 Prozent erklärbar. Frauen nehmen weniger Leitungspositionen ein. Wer Teilzeit arbeitet, wird selten Chef. Frauen bilden sich weniger weiter und geben sich bereits mit einem tieferen Abschluss zufrieden. Wer den grössten Teil des Haushalts schmeisst, hat selten Zeit für Abendschule und Co. Frauen leisten unbezahlte Arbeit wie die Pflege gemeinsamer Kinder – oder der (Schwieger-) Eltern. Wer sich das Sorgen und Pflegen quasi historisch gewöhnt ist, bleibt womöglich in diesem schlechter bezahlten Bereich: Frauen arbeiten in Tieflohnbereichen, ein weiterer Grund für die 15.1 Prozent Lohnunterschied. Frauen fallen Mutterschaftsbedingt aus. Männer wegen des Militärs. Danach fragt beim Bewerbungsgespräch aber keiner.
Für 40 Prozent des Lohnunterschiedes kann kein Argument gefunden werden.
«Nicht erklärbar» bedeute nicht automatisch «diskriminierend» schreibt eine Studie der Universität Bern. Es sei eben schwierig, alle Faktoren statistisch zu erfassen. Weitere Argumente fehlen.
In der Steuererklärung notiert die Frau ihren Lohn unter «Zweiteinkommen». Als meine verheiratete Freundin mir das sagt, denke ich, mich verhört zu haben. «Wohl, weil Frauen halt meistens das tiefere Einkommen haben», fügt sie an.
«Ich weiss, dass ich weniger verdiene als Herr X. Aber wenn ich das zur Anzeige bringe, verliere ich den Job», sagt Frau Y. Sie verdient lieber weniger, als gar nichts. «Unsinn», kontert Frau Z, «jeder Arbeitgeber will doch zufriedene Angestellte. Fairer Lohn ist ein wichtiger Faktor. Das wird schon eingehalten.»
Und was, wenn nicht?
27. Februar 2018. Der Bundesrat schlägt vor, dass Unternehmen mit mehr als 50 Angestellten alle vier Jahre einen Lohncheck durchführen lassen. Morgen will der Ständerat darüber beraten. Davon betroffen sind zwei Prozent aller Unternehmen und 54 Prozent aller Angestellten. Diese müssen dann nicht mehr bei den Kollegen nach deren Lohn fragen. Sie müssen keine Kündigung mehr fürchten, wenn sie Missstände zur Anzeige bringen. Kontrolliert wird dann in dritter Instanz.
20xx. Ich habe Kinder. Finanziell macht es keinen Unterschied, ob ich oder mein Partner mehr arbeiten. Oder ob wir uns Arbeit und Familie exakt teilen. Keiner muss etwas verpassen. Ich verdiene nämlich genau gleichviel, wie meine männlichen Kollegen. Das beruhigt mich jetzt. Und es beruhigt mich, wenn ich an die Altersvorsorge denke.