Weil ich ein Mädchen bin

Weil ich ein Mädchen bin, weiss ich, wie ein Mann aussieht, der sich im leeren Zug vor mir auszieht und zu befriedigen beginnt. Ich weiss auch, wie es sich angefühlt hat, ihn anzuzeigen. Weil ich ein Mädchen bin, weiss ich, wie das ist, wenn Arbeitskollegen „junge Mitarbeiterin“ als „Freiwild“ interpretieren. Ich weiss, dass unverhohlen lüsterne Blicke mitten im Gesicht brennen, selbst wen man es wegdreht. Ich weiss, wenn man schneller in die Pedale tritt, hört man die Rufe weniger lange. Besonders in den Chefetagen gibt es immer mal wieder Anlässe, an die ich nicht passe – weil ich ein Mädchen bin. Dafür bekomme ich zweideutige Komplimente und eindeutige Angebote von Männern, die ich interviewe – ihre guten Geschichten aber kriegt der Kollege. Weil ich schwanger werden könnte, bezahle ich höhere Krankenkassenprämien als alle (potentiellen) Väter, bekomme aber weniger Lohn als die meisten. 

Wenn ich davon erzähle, blicke ich in die Gesichter meiner Freunde und sehe Erstaunen. Manchmal auch Verständnislosigkeit und ein entschuldigendes Lächeln. Weil sie keine Mädchen sind. Es mag dieses mangelnde Verständnis sein, dass einen meiner ehemaligen Kommilitonen dazu brachte, diesen Artikel zu posten. 

Von gut 7500 brillanten Zeichen zum Thema Macht, Missbrauch und Gewalt an Frauen, behandeln 421 die Kölner Silvesternacht.
Sie gehen so:

Wie relativ Verbrechen an Frauen bewertet werden, wurde nie so deutlich wie bei den Massenübergriffen in der Silvesternacht in Köln 2015. Auch da gehörten die Täter zu den Guten: Sie waren Migranten oder Flüchtlinge, und auf einmal war die Sachlage nicht mehr ganz so eindeutig. «Ja, aber» bekamen jene zu hören, die mitten in Deutschland zum Freiwild geworden waren, wir wollen jetzt doch bitte nicht rassistisch werden.

Ein ehemaliger Kommilitone postete den Artikel – zusammen mit einem wütenden Aufschrei. Nicht etwa im Namen misshandelter weiblicher Mitmenschen. Nein. Er witterte Rassismus und eine „Feministin die Tatsachen bis zur Unkenntlichkeit verdreht“. Aha.

Erst war ich ausser mir. Dann habe ich beschlossen, das Problem zu erklären. Nicht weil ich ein Mädchen bin, sondern weil es verdammt wichtig ist, dass Menschen verstehen. Nur Verständnis und Einsicht formen neue Denkmuster.

X.,

stell Dir vor, jemand schlägt Dich auf der Strasse nieder und nimmt Deine Tasche mit Laptop, Geld und Handy an sich. Du stösst Dir dabei das Bein so schwer, dass die Narben und ein fieses Zwicken ein Leben lang bleiben werden. Die Handlung dieser Person verstösst gegen das Gesetz. Sind wir uns einig, dass die Person zur Rechenschaft gezogen werden darf, ja sogar muss?
Gut. Nehmen wir an, das geschieht auch. Zu ihrer Verteidigung bringt die Person vor, an Krebs erkrankt zu sein, sich im eigenen Körper nicht mehr Daheim zu fühlen und nicht zu wissen, was die Zukunft bringe.
Das ist traurig und verdient an sich viel Mitgefühl. Macht es Deine Narben und den Schmerz, den Du bei jedem Schritt spürst, weniger? Hat die Person weniger oder gar nicht gegen das Gesetz verstossen, als sie Dich schlug und beraubte, weil sie selber ein Mensch mit einem schweren Schicksal ist?
Handelt es sich jetzt nicht mehr um eine Straftat?
Doch?
Also.
Warum aber ist in Deinen Augen alles anders, sobald das Opfer eine Frau und der Täter ein Flüchtling ist?

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