Eine Mutter nimmt den Kampf gegen das Patriarchat auf – oder: Wie die größte Petition, die die Schweiz je gesehen hat, in einer einzigen Schreibtischschublade Platz fand.
Nachdem sie die Kinder ins Bett geschickt hatte, verabschiedete auch Véronique sich bald und zog sich in das Gästezimmer zurück. Dort wusch sie sich die Anstrengung des Tages mit einem feuchten Lappen vom Leib und schlüpfte in ihr weißes Nachthemd. Wie gut es tat, nach der Abendtoilette die Füße hochzulegen und den anstrengenden Reisetag hinter sich zu lassen.
Véronique knipste die Nachttischlampe an, schob sich ein Kissen in den Rücken, griff zu ihrer Lesebrille, lehnte sich zurück und nahm die Zeitung zur Hand, die sie mit auf ihr Zimmer genommen hatte. Es war die Abendausgabe des «Bundes» vom Vortag und sie eröffnete mit einem rot eingerahmten ganzseitigen Bericht über die Saffa.
«Die Ausstellung ist zu einer Prüfung der organisatorischen Fähigkeiten der Frau geworden» stand da bereits im ersten Absatz und Véronique blies die Luft durch die Nase aus.
«Als hätten wir Frauen nicht längst gelernt, uns selber zu organisieren», murmelte sie leise und dachte an all die Frauen, die es nicht so einfach hatten wie sie selbst.
«Das Fundament der Familie und damit der Zivilisation liegt in einer Frauenarbeit, die man nicht zeigen, die man nur erfahren kann. Die große Mühsal der Hausfrau und Mutter bleibt in den Wänden des Heims und kann nicht an eine Schaustellung getragen werden» las Véronique weiter. «Wenn unsere Arbeit das Fundament der Zivilisation ausmacht, wie hoch muss diese Zivilisation dann die Nase in die Luft strecken, damit sie ihr eigenes Fundament so geflissentlich und umfassend übersehen kann», dachte Véronique bei sich und schüttelte den Kopf. Genau da lag doch das Problem: Die Arbeit der Frau wurde weithin eben nicht als fundamental und wichtig angesehen, sondern als selbstverständlich und austauschbar. Der Schreiber des Artikels meinte es gut. Er strich die Wichtigkeit der Frauenarbeit hervor, er betonte die Schwierigkeiten, die es bis zur Eröffnung der Saffa zu überwinden galt, ja, die Schwierigkeiten, die es für die Frauen ganz grundsätzlich zu überwinden galt.
«Aber bei allem Wohlwollen: Auch dieser Artikel beschreibt uns Frauen nicht als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft», dachte Véronique, «dabei kämpfen wir schon so lange dafür.» Doch bei diesem Gedanken hielt sie inne. «Wir?», fragte sie sich. «Was habe ich denn in den letzten zehn Jahren für die Sache der Frau getan?»