Ein Walliser Bergdorf rebelliert: Trotz Verbot aus Bern lässt es seine Frauen an die Urne. Doch die Rebellen bleiben Ausnahmen, denn die Schweizer Männer wollen ihre Macht nicht teilen.
«Aber welche Argumente haben die Männer gegen das Frauenstimm- recht? Immerhin ist es ein Recht, das ihnen selbst längst zusteht. Wie können sie es ihren Frauen verweigern?», fragte Thea.
Peter von Roten begann zu erklären, dann hielt er inne: Ihm war etwas eingefallen. Er zog eine seiner Schreibtischschubladen auf und durchsuchte sie. Mit einem breiten Grinsen und einem Stoß loser Papierbögen in der Hand blickte er Sekunden später wieder auf.
«Lassen wir die Herren doch am besten selber sprechen», sagte er. «Ich zitiere nun für Sie den parteilosen Herrn Nationalrat Josef Schuler aus dem Kanton Schwyz. Er brachte als Argument gegen das Frauenstimmrecht im Jahre des Kriegsendes vor: ‹Wenn jetzt so ein Mann Ratsherr, Gemeinderat, Kantonsrat oder sogar Nationalrat geworden ist, hat bis jetzt die Frau einen gewissen Stolz gehabt und gesagt: Mein Mann ist etwas. Wenn nun aber die Frau Gemeinderat, Kantonsrat oder gar Nationalrat wird, der Mann aber nicht, wie muss man dann dem Mann sagen? Ich glaube, das würde den Mann geradezu erniedrigen.›» Von Roten ließ sich die Worte auf der Zunge zergehen. «Gleicher Herr, gleicher Tag: ‹Anno 1291 sind auf dem Rütli nur Männer gewesen. Da hat man keine Frauen gesehen.›»
Thea zog angewidert die Augenbraue hoch.
«Es geht noch weiter, Miss Miller. Mein Parteigenosse, der Luzerner Nationalrat Karl Wick: ‹Es ist gefährlich, sich immer nur auf die abstrakten Menschenrechte zu berufen. Man ist nie Mensch, man ist entweder Mann oder Frau, und die Eigenart beider muss auch in der Demokratie zum Ausdruck kommen.›» Von Roten lachte trocken. «Halten Sie es noch aus?», fragte er dann und als Thea gequält nickte, fuhr er fort: «Jetzt kommt Herr Eugen Bircher, bgb-Nationalrat aus dem Aargau, zu Wort. Er zitiert zuerst einmal Schopenhauer und nennt die Frau einen ‹Knalleffekt der Natur›.» Von Roten blickte über den Rand seines Papiers vielsagend zu Thea. Dann las er weiter. «‹Die Frau steht in ihrer anatomisch-geschichtlichen Entwicklung dem Kinde näher als dem Mann. Der Mann hat geistig die größere Aufnahmefähigkeit, die größere Sensibilität, die Frau jedoch – das zeigt sich gerade bei den jetzigen Anhängerinnen des Herrn von Roten›», er grinste, «‹die größere Irritabilität. Sie ist auch leichter beeinflussbar und suggestibel.› Da haben Sie’s – wenn Sie nun finden, die Argumente gegen das Frauenstimmrecht seien ein klein wenig, nun, haltlos, dann wurden sie wohl allzu leicht von mir beeinflusst.»
Thea schüttelte den Kopf, während sie sich die Zitate notierte. Von Roten wollte sein Papier bereits weglegen, nahm es dann aber doch wieder vors Gesicht.
«Ein letztes Zitat noch, erneut Parteikollege Wick. Er sagt: ‹Das politische Frauenstimmrecht wäre im Grunde genommen die Kapitulation der Frauen vor dem Manne, das Eingeständnis, dass das Parlament, die einseitige Demokratie, wichtiger ist als das Haus und der Herd und das Heim.›»
Nun legte er das Blatt weg und schaute Thea herausfordernd an.
«Das klingt für mich vor allem nach Menschen, die Angst davor haben, Macht zu verlieren», sagte Thea angewidert.
«Sehr trefflich», sagte von Roten, «die in Bern fürchten den Machtverlust. Die einfachen Stimmbürger hier, die fürchten den konkreten Kontrollverlust über ihre Frauen.»
«Und Sie, Herr von Roten, sind Sie dabei die große Ausnahme?»